Christsein verpflichtet – von der Reformation zur Konfirmation

Religion ist nicht das Spezialgebiet von Pfarrern, Nonnen und Mönchen – Religion geht jede und jeden an und ist für alle da! So lässt sich eine der Entdeckungen Martin Luthers für die heutige Zeit formulieren. Dazu gehört auch: Niemand kann sich vor Gott durch jemand anderen vertreten lassen. Natürlich kann jemand für mich beten. Aber eben nicht in dem Sinne, dass mich jemand vor Gott ersetzen kann. Wenn wir uns Gott als Vater oder Mutter vorstellen, wird das ganz schnell klar: Da können die jüngeren Geschwister auch nicht einfach sagen: „Ach, den Kontakt zu den Eltern, den hält unsere große Schwester, das macht die schon irgendwie…“ Für Luther gehörte die Verantwortung für den eigenen Glauben zur Würde eines Christenmenschen. Man muss doch seinen himmlischen Vater kennen und im Kontakt sein! Dazu gehörte, dass man das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und die 10 Gebote kennt, weiß, was Taufe, Abendmahl und Beichte bedeuten. Damit sich das leichter erlernen lässt, startete in der Reformationszeit eine  Bildungsinitiative. Kinder sollten lesen und schreiben lernen, sollten in der Bibel lesen und sich auskennen. Mit der Konfirmation, einem Ritual, das es vorher nicht gab, zeigen junge Leute, dass sie in Glaubenssachen erwachsen sind, dass sie Bescheid wissen und Verantwortung für ihren Glauben übernehmen. Zur Verantwortung für den eigenen Glauben gehört auch die Verantwortung für die Kirche – für die Gemeinschaft und das Gebäude. Die Kirche sollte nicht Sache von „denen da oben“ sein, die ihr Geld gaben und sich – mit Gotteshäusern! – selbst ein Denkmal setzten. Alle sollten und konnten sich beteiligen, mit Geld und auch mit Ideen, heutzutage auch mit Wahlen und Gemeindekirchenräten. Wer konfirmiert ist, darf mitreden. In den letzten Jahren ging es allerdings mit großen Schritten rückwärts, so als ob heute viele lieber in der Zeit vor Luther leben würden. Viele finden es völlig in Ordnung, wenn sich nur die Pfarrer und einige sehr Engagierte in der Bibel auskennen. Jahr für Jahr werden in unseren Gemeinden etwa 200 Einladungen zum Konfirmanden-Kurs verschickt – Jahr für Jahr nehmen weniger als zehn Jugendliche diese Einladung an. Und in den meisten Monaten treten fünf unserer Gemeindeglieder offiziell aus der Kirche aus. Wenn das Christentum in unserem Land zurückgeht, liegt das definitiv nicht am Islam, sondern daran, dass es vielen, die einmal zur Kirche gehört haben, zu mühsam scheint, sich damit abzugeben. Der Gemeindekirchenrat und ich respektieren jede individuelle Entscheidung. Ich weiß, dass es Zeit und Kraft kostet, sich mit der Bibel zu beschäftigen, zum Gottesdienst zu gehen und den eigenen Glauben in die Tat umzusetzen. Doch das Vertrauen auf Gott gibt auch Kraft. Es ist eine gute Grundlage für das Leben als erwachsener Mensch. Ob im Konfi-Kurs oder später: Den christlichen Glauben kann man in jedem Lebensalter besser kennenlernen. Unser ältester Konfirmand 2016 war über 50, der älteste Täufling über 60 Jahre alt. Für die Jugendlichen gibt es den Konfi-Kurs, für Ältere die Gruppe „Glaubensfragen für Erwachsene“. Christsein verpflichtet. Es ist eine Aufgabe. Und wie bei vielen Aufgaben entdeckt man staunend: Diese Aufgabe ist eine Freude und Bereicherung! Renate Kerten